Briefe von Felix Gotthelf an Hedy Brügelmann, 1909/1910, Staatsarchiv Ludwigsburg

Felix Gotthelf (geb. 1857 in Mönchen-Gladbach, gest. 1930 in Dresden), war Arzt, Kapellmeister und Komponist. Er komponierte u.a. das Bühnenwerk „Mahadeva – Ein Mysterium in einem Vorspiel und drei Aufzügen für die Bühne in Wort und Ton verfasst" (1908). Die Uraufführung erfolgte 1910 in Düsseldorf. 1909 wurde die Schlussszene in Stuttgart aufgeführt und trat  Hedy Brügelmann darin in der Titelrolle der Maya auf, 1910 auch in Düsseldorf in der Aufführung des gesamten Werkes.

 

Felix Gotthelf an Hedy Brügelmann, Berlin, 12.5.1909

Grand Hotel Excelsior Berlin S.W. den 12.5.1909

Königgrätzerstrasse 112-113, gegenüber dem Anhalter Bahnhof

Sehr geehrtes Fräulein!

Herr Prof. Schillings teilte mir vor kurzem mit, daß Sie die Güte haben werden, in der Schluss-Scene aus "Mahadeva" die Sopran-Partie zu singen. Nach dem, was mir Prof. Schillings sonst noch über Ihre künstlerischen Qualitäten mitteilte, glaube ich alle Ursache zu haben, von der Concert-Aufführung am 5. Juni sehr hohes und befriedigendes zu erwarten. Auch hat es mich sehr gefreut, von Schillings zu erfahren, daß Ihnen die Partie gut liegt.

Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen auch meinerseits mein Werk warm an's Herz lege, und Ihnen gleichzeitig zu sagen, daß ich mich auf die Aufführung am 5. Juni ganz außerordentlich freue. - Ich werde schon am 24. Mai zu den Vorproben in Stuttgart eintreffen.

Ich empfehle mich Ihnen als Ihr Sie hochschätzender und ergebener

Felix Gotthelf

 

Felix Gotthelf an Hedy Brügelmann, Stuttgart, 27.5.1909

Hotel Marquardt
Sehr geehrte Frau Kammersängerin!

Die heutige Probe schon hat es mir zur Gewißheit ergeben, daß Sie eine in jeder Richtung vollkommene, glänzende Interpretin des Mahadeva-Fragmentes sein werden. - Ich freue mich nun um so mehr auf das Concert. Eine kleine Verständigungsprobe am Klavier mit Prof. Schillings vor der nächsten Orchesterprobe wäre wohl noch wünschenswert. Ich werde ihn darum bitten.

Anbei der Klavierauszug. - Falls Schillings ihn nicht als den seinigen reclamiert, werde ich mir erlauben, Ihnen einige Worte hineinzuschreiben.

In dankbarer Verehrung, Ihr sehr ergebener

Felix Gotthelf

 

Felix Gotthelf an Hedy Brügelmann, Stuttgart, 8.6.1909

Hotel Marquardt 

Sehr verehrte Frau Brügelmann!

Ich kann nicht schlafen gehen, ohne Ihnen noch vorher ein Wort zu sagen: während der Ballade sind mir die Augen nicht trocken geworden, sie hat noch selten so stark auf mich gewirkt. - 

Glück auf zu dem großen Erfolg! Die Senta ist schon jetzt eine Meisterleistung. Daran ist im einzelnen wohl noch manches zu retouchieren, aber im großen Wurf ist sie herrlich gelungen, gesanglich wie darstellerisch.

Von Herzen Ihr sehr ergebener

Felix Gotthelf

P.S. Morgen bin ich in Tübingen, Donnerstag wieder hier

 

Felix Gotthelf an Hedy Brügelmann, Düsseldorf, 5.3.1910

Düsseldorf, Alléestr.38/II, den 5. März 1910

Sehr verehrte und liebe Frau Brügelmann!
Gestern war die Generalprobe des "Mahadeva", u. so komme ich erst heute dazu Ihnen zu schreiben und Ihnen vor Allem noch einmal meine innige Freude darüber auszudrücken. daß Sie sich der schwierigen Aufgabe mit so glühendem Eifer hingeben. Die gestrige Generalprobe hat mir gezeigt, wie sehr ich es zu beklagen habe, daß Sie nicht die Maya creiren können. Ich hoffe aber ganz bestimmt, sie womöglich noch in dieser Saison von Ihnen zu sehen und zu hören. Frl. Saeden (?) ist, bei allen sonstigen vortrefflichen Eigenschaften, dieser Aufgabe gegenüber doch nicht ganz ausreichend, weder gesanglich, noch vor allem darstellerisch; auch mag wohl ihr immer noch etwas leidender Zustand sie verhindern, ihre ganze Kraft zu entfalten. - Dagegen ist der Mahadeva des Herrn William Miller ganz wundervoll: Sie als seine Partnerin würden das Werk zu idealer Wirkung bringen. - Schon den Tanz allein möchte ich von Ihnen sehen! Leider haben wir darin hier einen Strich. Sie müssen ihn aber (...) tanzen, vorausgesetzt, daß es Sie nicht zu sehr anstrengt, um nachher noch zu singen. -

Diese Schwermut u. kindliche Naivität würden Sie bis zu glühendster Liebessehnsucht sich steigern lassen, um endlich in der höchsten Ekstase bis zu einer von allen irdischen Schlacken gereinigten erhabenen Hingebung an das Göttliche zu gelangen. - Das Costume ist das der indischen Bajaderen: Kurzes Leibchen (reich) über der Brust, dann der Unterleib frei (Tricot) bis zur Hüfte (Teint leicht braun, nicht zu dunkel), dann fußfreier leicht farbiger Rock. - Haar schlicht gescheitelt, ohne Zöpfe. An den Fußknöcheln goldene und silberne Ringe, welche beim Tanzen leise klirren. - Der Schleier sehr zart, vom Kopf bis an die Knie reichend, kann beim Tanz malerisch verwendet werden. Er könnte am Kopf mit einer diademartigen Spange befestigt werden, so daß er sich am Schluß durch Abheben der Spange leicht abnehmen läßt. Der Kranz kann fest gewunden sein, so daß er sich nicht verbiegt: aus großen weißen Lotusblumen. -

Ich werde Ihnen morgen oder übermorgen Bücher angeben, in denen Sie Vorbilder für das Costume finden; für jetzt nenne ich Ihnen: Gebrüder Schlagintweit, Reise nach Indien. - Die für Sie in Betracht kommenden Striche finden Sie auf beifolgendem Zettel verzeichnet. -

Die Aufführungen sind bis jetzt so angesetzt: 7. 9. 15. und 22. März. Dann geht Miller für einige Wochen nach Wien, wo er an der Hofoper gastiert. Nach seiner Rückkehr Mitte April hoffe ich, daß noch ein paar Aufführungen in dieser Saison stattfinden. Wenn nicht, dann sicher Anfangs nächster Saison, da mir 8 Aufführungen garantiert sind. - Ich werde nun alles aufbieten, was in meinen Kräften steht, um noch Ihr Gastspiel im März zu ermöglichen. Der Director möchte gerne Ihre Honorarbedingungen wissen. Vielleicht können Sie durch mich oder Ihren Herrn Gemahl ihm darüber Auskunft geben lassen. - Alles hängt natürlich davon ab, wie das Werk hier am Montag aufgenommen werden wird. Die Directoren sind ja wahre Geschäftsleute. Hoffen wir das beste. -

Meine Frau und die kleine Maya haben sich über Ihre frdl. Grüße sehr gefreut und erwidern dieselben herzlich. Ich schließe mich ihnen an u. bitte Sie, Schillings bestens zu grüßen und ihm zu sagen, daß ich glücklich sein würde, ihn  auch einmal hier zu sehen. -

Ihr Sie aufrichtig verehrender

Felix Gotthelf

(Am Rand) Wenn ich Sie zur 3. Aufführung am 15. dM. erwarten  darf, würde ich mich außerordentlich freuen.

 

Felix Gotthelf an Hedy Brügelmann, Düsseldorf, 13.3.1910

Direktion der Stadttheater Düsseldorf-Duisburg, Ludwig Zimmermann

Sehr verehrte Frau Brügelmann!

Unsere Briefe haben sich gekreuzt. - Ich habe nun heute mit Herrn Kapellm. Fröhlich die neuen, recht ausgiebigen Striche festgelegt und dafür gesorgt, daß auch von Ihrer Partie manches wegfällt. Sie finden auf dem anliegenden Blatt die neuen Striche verzeichnet, sowie sie für Sie in Betracht kommen. - Im Tanz konnten wir uns nicht einigen. Entscheiden Sie zwischen dem alten und dem neuen Strich. Ich halte letzteren für besser: danach geht der Strich von S.156 Z(eile)3. T(akt) 2 bis S.158 Z.2 T.1. - Er ist recht ausgiebig, betrifft vorwiegend den schnellen, wilden Teil des Tanzes und ist deshalb weniger anstrengend. Die Gestaltung des Tanzes im Ganzen bleibt Ihnen ganz überlassen; Sie werden das unter allen Umständen besser machen als Frl. Saeden, die hier vollständig versagte. Durch den Wegfall der schnellen Tempi fällt alles eigentlich sinnliche fort, es bleibt nur Anmut, Zärtlichkeit, schwärmerische Verehrung für den Pilger. Von Seite 158 Zeile 2 an denke ich mir folgendes Spiel: Sie finden 4 und 2 ruhige Takte gefolgt von drei schnellen. Dann 8 Takte ruhig und breit. - Bei den ruhigen Takten verneigen Sie sich vor dem Pilger u. erheben den Kranz (?) um ihn ihm aufzusetzen. Dann aber auf die drei schnellen Takte unterbrechen Sie diese Bewegung wie in einer Art anmutiger Neckerei und tanzen einmal flott um ihn herum. Das wiederholt sich vier mal mit Steigerung. Endlich bei S. 159 Zeile 1 Ruhig u. breit, wo das volle Orchester einsetzt, erheben Sie den Kranz mit erhabener Feierlichkeit und setzen ihn dem Pilger auf das Haupt. Dann, bei Zeile 4 Mässig langsam sinken Sie ihm langsam weinend zu Füßen (Cello-Kantilene), dann kommt der große Strich bis S.161 Z.2 T.2 (Schluchzen). Dann mit den Worten: "O Liebe! nicht zu meinen Füßen etc." erhebt der Pilger Sie an seine Brust: großes erhabenes Spiel.- 

Dieser Brief muß schnell abgehen, damit Sie ihn morgen früh bekommen. - Unser Costumier wird Ihnen schnellstens einige Costume aus dem hiesigen Fundus schicken, nach denen Sie sich etwas passendes ausdenken und arrangieren wollen. Nach Ihren Angaben wird dann von Samstag bis Montag das Costum hier fertig gestellt werden. (...), Kopfschmuck etc. ist genügend Auswahl hier, Sie können sich aber auch etwas passendes mitbringen.

 Und nun nocheinmal: Glück auf! Ich freue mich unendlich auf Ihre Maya und bin sicher, daß diese Partie, die Ihnen darstellerisch u. gesanglich so gut liegt, eine Glanzleistung von Ihnen werden wird.

Mit besten Grüßen

Ihr sehr ergebener Felix Gotthelf

 

Felix Gotthelf an Hedy Brügelmann, Düsseldorf, 15.3.1910

Sehr verehrte gnädige Frau!

Ein Hauptfehler von Frl. S. war, daß sie die Partie gleich im Anfang zu tragisch auffaßte. - Maya ist im I. Akt noch keine büßende Magdalena. Sie ist verdorben, aber innerlich rein u. vor allem naiv wie ein Kind. Lesen Sie einmal die Göthesche Ballade: Der Gott u. die Bajadere. Da heißt es: "Der Göttliche lächelt, er siehet mit Freuden durch tiefes Verderben ein menschliches Herz." Hier liegt der Schlüssel für den ganzen Charakter. Wenn sie auf der Bühne erscheint, ist sie verwirrt, außer Athem; der Anblick des Büssers Narada hat sie zwar im innersten ergriffen, aber sie ist sich noch nicht recht klar darüber. - Sie kommt laufend, fast tanzend auf die Bühne, sie ist die schöne Tänzerin, die Hetäre, die Geliebte des vornehmen Kama; reich gekleidet, anmutig. Also zunächst noch keine zu starken tragischen Accente. - Erst später (S.70) wird sie sich dessen, was in ihr vorgeht, klarer bewußt: das Bewußtsein ihrer Verworfenheit dämmert ihr immer mehr auf und der halb unbewußte Drang, durch den Segen des Narada gereinigt zu werden, zieht sie wider ihren Willen zum Tempel zurück, um ihn dort zu erwarten. - Doch diese Bußestimmung ist in ihr noch so schwach, daß sie in der Szene mit Kama (S.76) sie bald wieder vergißt u. nach den Worten Kama's: "entschlummerst du sanft an meinem Herzen mit Kosen und Scherzen" hat die Sinnlichkeit wieder Gewalt über sie bekommen. Sie lehnt sich selbstvergessen an seine Schulter u. läßt sich willenlos von ihm fortziehen. - Da tönt der Gesang der Büßer, sie fährt auf, macht sich von Kama los u. auf S.77, 78 u. 79 wird die Büßerstimmung immer stärker; bei den Worten: "ich lasse ihn nicht" höchste feurige Emphase, fortissimo, dann gleich darauf bei den Worten: "er segne mich denn" tiefste reuevolle Zerknirschung. - (Hier habe ich leider einen Strich machen müssen, wodurch die Schilderung ihres inneren Erlebnisses beim Anblick des Büßers Narada ausfällt. -) Gleich darauf (S.83) tritt Narada mit seinen Sängern auf, sie stößt einen Schrei aus u. bleibt mit starr auf Narada geheftetem Blick stehen (ungefähr wie Leute beim Anblick des Holländers.) -

 

Die S. hat sich hier rein (?) anbetend auf den Boden geworfen (so will es der Oberregisseur Leffler). Das ist aber falsch. Erst bei den Worten: "Erbarme dich meiner, die Alle verlassen" (S.93) wirft sie sich vor Narada nieder und umklammert seine Knie, heiß um seinen Segen flehend. - Erst nach den Worten Narada's: "trage still dein traurig Los" (S.98) sinkt sie auf den Boden u. bleibt wie betäubt liegen. Hier kommt die volle Tragik zum ersten Mal zum Vorschein. Sie ist nicht nur die verachtete Hetäre, sondern auch die Ausgestoßene Tschandala, die Unreine. -

 

Es wäre mir lieb, wenn Narada, nachdem er sie vor der Wut des Volkes geschützt hat, nach vorne rechts in den Vordergrund führte (S.96), so daß sie dann dort unbeachtet liegen bleiben können. - Wenn das Volk dann in den Tempel zeiht, erholt sich Maya aus ihrer Betäubnis u. folgt langsam, gebeugt, wie traumwandelnd, wie von einem unbewußten Drang getrieben, den letzten, die in den Tempel eintreten. Als ihr dann Brahmadatta entgegentritt; "Zurück! Schänderin heiligster Schwelle!" (S.105) taumelt sie, wie plötzlich aus dem Traume erwacht, zurück, heftig erschreckt. Bei dem Fluch (S.106) fährt sie furchtbar zusammen, tief verzweifelt. Sie ist der Ohnmacht nah, droht umzusinken. Da plötzlich erscheint vor ihrem Auge der göttliche Pilger. Sie start ihn an wie eine Vision in höchstem Entzücken. - Auf Seite 108 Zeile 1 geht sie, wie von einer unsichtbaren Gewalt getrieben einige Schritte auf ihn zu. Dann bei Zeile 2 Takt 3 u. 4 (Leidensmotiv) greift sie sich plötzlich an das Herz. Furchtbarer Schmerz tiefster Verzweiflung erfaßt sie, denn blitzartig erkennt sie, daß sie in all ihrer Verworfenheit u. (...) des erhabenen göttlichen Jünglings niemals würdig sein kann. Dann bei den folgenden 3 Takten flieht sie in heller Verzweiflung von der Bühne. Bei "breit u. feierlich" muß sie schon verschwunden sein.

 

Ich weiß wohl, daß meine Angaben in manchen Punkten mit dem in Widerspruch steht, was Ihnen Oberregisseur Leffler schreibt oder sagen wird. Dieser Herr hat mir, dem Dichter, nicht den geringsten Einfluß auf die Regie gestattet. Daher auch die Maya der Frl. Saeden (?) so unzulänglich war. Sie mußte immer am Boden herumkriechen etc.- Ich bitte Sie inständigst, folgen Sie mir und Ihrem eigenen Empfinden mehr als den wohlgemeinten, aber oft ganz mißverständlichen Angaben Lefflers. -

 

Ich muß noch hinzufügen, daß das Benehmen Mayas im I. Akt immer etwas scheues, verschüchtertes hat. Denn sie ist ja die Unwissende, die ausgestoßene Tschandala, ein Mitglied der Kaste, die nach den Anschauungen der (...) noch unter dem (...) steht.

Fortsetzung über II. u. III. Akt folgt morgen. - Für heute nur noch herzlichen Gruß von Ihrem (...)

Felix Gotthelf

 

Felix Gotthelf an Hedy Brügelmann, Düsseldorf, 16. 3.1910

Sehr verehrte Frau Brügelmann!

In Fortsetzung meines gestrigen Briefes gebe ich Ihnen heute einige Andeutungen über den II. und III. Akt. - Die hiesige Regie ließ Frl. Saeden, nachdem sie fliehend die Bühne betreten hat, auf dem Boden zusammensinken und den ganzen Gesang S.111-114 liegend singen. - Ganz falsch! Sie bleibt nur in sich versunken stehen, kommt langsam nach vorne, bleibt wieder stehen etc., wie Sie es für gut halten. Aber nicht immer am Boden herumkriechen, wie Leffler es will. Vielleicht können Sie bei den Worten: "Ahnungsschauer" etc. (S.113) auf dem Lager bei der Hütte zusammensinken. Aber bei "Ha, Thörin ich" (S..114) erheben Sie sich plötzlich wieder und laufen eilig in den Hintergrund, links. Bei Kama's Stimme zucken Sie zusammen, bleiben ratlos stehen; nach "rettungslos verloren" (S.115) suchen Sie nach der andern Seite des Hintergrunds zu entkommen, laufen nun aber erst recht Kama in die Arme. Trotz Ihres heftigen Widerstrebens führt er Sie mit sanfter Gewalt wieder in den Vordergrund und hält Sie fest (das müssen Sie Herrn von Zawilowsky sagen), er darf Sie zunächst noch nicht loslassen, erst bei seinen Worten "Nun! lass die Frommen" (S.116) läßt er Sie los und Sie bleiben stehen. Bei den Worten Kama's: "die heiß mich überfluten" (S.120 unten) umfaßt er Sie leidenschaftlich, Sie aber stoßen ihn heftig zurück. Nach den Worten "O! wäre ich tot!" (S.121 unten) können Sie auf der Ruhebank rechts schmerzlich zusammensinken. Erst bei "Wehe der Lust" (S.136) erheben Sie sich wieder. - Von den Worten "Aus Traum und Trug bin ich erwacht" an (S.127) nehmen Sie eine immer mehr verzückte Haltung an, verloren in der Erinnerung an den Pilger Mahadeva. - So bleiben Sie selbstvergessen stehen bis zu den Worten Kama's "In den Tod treibst du den Treuen, der in deiner Liebe nur lebt" (S.137). Kama spielt den Verzeifelten, und Maya, die ihm das glaubt, wird von Mitleid für ihn erfaßt.
- Dieses Mitleid ist es, das sie Kama wieder zuführt und im Verlaufe des Zwiegesanges S.135-139 muß sie in großem Spiel zeigen, wie die durch die leidenschaftliche Werbung Kama's wieder entfachte sinnliche Glut immer mehr über sie Macht gewinnt, so sehr sie sich auch verzweifelt dagegen aufbäumt, bis sie ihm nach dem Worte "Rettungsschein" (S.139) ohnmächtig in die Arme sinkt. Diese Ohnmacht muß stark markiert werden, damit der Zuschauer trotz der verdunkelten Bühne merkt, daß Sie besinnungslos sind und von dem folgenden Auftritt des Pilgers nichts merken. Kama läßt sie zu Boden gleiten (S,143 vor den Worten: "Bei Indra's Donner!" - Der Pilger hebt sie auf und lagert Sie auf seinem Knie (wie Siegmund die Sieglinde im II. Akt Walküre). Nach dem Stichwort "Maya! Maya! erwache!" (S.145) schlagen Sie die Augen auf, glauben aber noch im Halbtraum den Pilger vor sich zu sehen. Erst nach "hell dein Glanz" (S.146) erwacht sie völlig und da sie im Dunkeln einen Mann bei sich sieht, glaubt Maya, es sei Kama. Sie springt auf und will fliehen. - Nach dem Sprung, bei dem Mahadeva-Motiv S.148 Zeile 9 Takt 6 dringt ein heller Mondstrahl durch die Wolken, Sie erkennen plötzlich den "Pilger". Hier wiederholt sich in kleinem Maßstab, wie am Schluß des I. Aktes, der Zwiespalt zwischen liebevollem Entzücken (Heil mir! Ha! Wer fand mich! S.148) und Verzweiflung ("Wehe mir, Sünderin! S.149). - Doch durch den tröstenden Gesang des Pilgers "Verzweifle nicht! etc." (S.149, 150) wird sie wieder aufgerichtet.

Sie gewinnt ihre naive Heiterkeit wieder, sie ist voll Glück und hingebender Zärtlichkeit. Aber es ist noch keine Intimität, es bleibt zwischen ihr und dem Pilger immer noch ein gewisser Abstand ehrfurchtsvoller Scheu. Sie will ihm dienen, ihn erfreuen: über den Tanz sprachen wir schon; es bleibt bei dem alten Strich.  - Während des Tanzes erwacht in ihr aber die ernste tiefe, ??? Liebe und sie sinkt ihm am Schlusse weinend und schluchzend zu Füßen. (Strich!) Der Pilger hebt sie an seine Brust, aber noch ist sie verzagt ("der Morgen taget etc." S.167). Erst nach der großen Erzählung des Pilgers, nach dem Stichwort: "Maya, erwache zum Sein!" (174? oben) geht in ihr die große Verwandlung vor sich. - Jetzt erst fühlt sie sich des herrlichen Freundes würdig, sie wächst gleichsam an ihm empor, aber es ist nun nichts Sinnliches mehr in ihrer Leidenschaft, die irdische Liebe ist ganz überwunden, es ist die reine himmlische Liebe, es ist ein Verhältnis wie zwischen Magdalena und Christus. Gleichzeitig ist sie auch eine Wissende geworden, sie hat den ganzen Zusammenhang von Schuld und Sühne durchschaut. Und nun fühlt sie sich frei von Schuld und Reue und weiß sich würdig des erhabenen Geliebten. - Tiefe Beruhigung zieht in ihr Herz und in dem folgenden Gesang ("o wonnig Erwachen" S.174) erhebt sie sich selbst bis zu einer erhabenen Größe. Dann in dem Zwischenspiel, Seite 179 Zeile 2 sehr feierliche Umarmung als Besiegelung des Bundes. Der folgende Zwiegesang: "Hehre Ruhe etc." S. 179 muß sehr langsam und ruhig genommen werden, ohne jeden leidenschaftlichen Accent, völlige himmlische Ruhe und Verklärung, u. sie entschlummert mit einem seligen Lächeln auf den Lippen.

III. Akt

Im Vorspiel ist ein Strich. Maya erwacht gleich nach der Ges-Dur-Stelle auf S.189 u. hört aus der Ferne die Posaunentöne. - Auf S.192 ("zur Gnadenfeier rüstet die Stadt") mußte Frl. Saeden aufstehen u. dem Hintergrunde zugehen um zu lauschen. - Nach  meiner Empfindung ist es aber richtiger, wenn sie erst auf S.193 nach den Worten "Mein Trauter wacht noch nicht" sich erhebt, um den Geliebten zu wecken. Der Schrei S.194 unten ist markerschütternd. - Hier mußte Frl. A. vor der Leiche zu Boden sinken (immer diese Kriecherei!!). Ich halte es für richtiger, wenn Maya, wie es auch vorgeschrieben ist, über dem Pilger zusammenbricht, halb auf der Bank sitzend, so daß sie ihn mit ihrem Körper deckt. Es wird zwar etwas unbequem sein, aber es läßt sich machen. - Nachdem sie S.199 von den Vedaschülern losgelassen ist, sinkt sie dann erst zu Boden vor der Leiche, ihren Kopf auf seinen Schoß gelegt. Dadurch wird jetzt das Gesicht der Leiche allen sichtbar. - Wenn Kama sie von dem wütenden Volke befreit, ist sie noch halb ohnmächtig, willenlos, teilnahmslos bleibt sie stehen, in ihren unsagbaren Schmerz versunken (S.210). Erst wenn sie Kama bedroht sieht (S.228), erwacht sie aus ihrer Betäubung, und wenn sie schützend vor Kama tritt (S.229), muß dies mit ruhiger Größe, mit erhabenem Ernst geschehen, hoch aufgerichtet. Sie hat einen großen Entschluß gefaßt, sich für Kama zu opfern, ohne daß sie ihn liebt, bloß um ihre frühere Schuld gegen ihn zu sühnen. - Ihr Gesang S.230 unten: "ich haßte einst" etc. muß ruhig, visionär, ohne leidenschaftliche Accente gesungen u. sehr deutlich gesprochen werden. - Wenn sie dann von Narada befreit ist, steht sie wieder teilnahmslos, in sich versunken da; selbst der früher so ersehnte Segen des heiligen Rischi berührt sie jetzt kaum. Sie weilt schon in einer anderen höheren Welt. Erst auf S.244, wenn die Tempelmädchen sich an den Leichnam ihres Geliebten herandrängen u. ihn mit Blumen bestreuen, erfaßt sie eine Art eifersüchtiger Zorn. Sie macht sich von Kama, der sie zurückhalten will, los und stürzt leidenschaftlich auf die Tempelmädchen u. jagt sie von dem Leichnam fort. Ihre Haltung ist von jetzt an immer groß, herrisch, erhaben. Bei den Phrasen: "Nicht Menschen-Satzung, nicht Götter-Gebot" etc. bitten Sie Kapellm. Fröhlich, daß er ihnen Zeit läßt zu gehöriger emphatischer Breite. -

Den Schlußgesang S.248 etc. hat Frl. S. ganz in das Publicum hineingesungen, immer in der Mitte der Bühne stehend. Das halte ich nicht für richtig. Jedenfalls müßte sie beim Eintreten des 4/4 Taktes, Breit und schwer S.254, einige Schritte machen, sich seitwärts stellen, u. halb gegen die Flamme des Scheiterhaufens gewandt singen. Übrigens überlasse ich das Ihrer genialen darstellerischen Intuition. Sie werden da schon das richtige finden, um diese Schlußaktion so erhaben wie möglich zu gestalten. - Überhaupt bin ich gar nicht böse, wenn Sie die von mir gegebenen Andeutungen in Ihrem Sinne ausgestalten u. wo es nötig ist verbessern. An William Miller (Mahadeva) haben Sie einen congenialen Partner, der Sie verstehen u. in Ihren Intentionen unterstützen wird. Herr von Zawilowsky ist auch ein sehr musikalischer, verständnisvoller Künstler und beherrscht die Rolle des Kama sehr tüchtig. Nur bedarf er noch einiger schauspielerischen Anfeuerung. Leider wird er zur Arrangierprobe am Montag Morgen noch nicht hier sein und erst am Montag Abend eine kleine Verständigungsprobe mit Ihnen haben können. Am Dienstag Morgen zur Orchesterprobe ist er aber da. -

Der Vorstellung sehe ich mit großer Freude und Zuversicht entgegen. Das Publicum wird erst durch Sie die Maya kennen lernen; denn das was Frl. S. geben konnte, war nur ein kleiner Bruchteil der mit dieser Figur beabsichtigten u. möglichen Wirkung.

Mit besten Grüßen

Ihr Sie verehrender u. hochschätzender

Felix Gotthelf

(rechts u. links beziehen sich immer auf den Zuschauer)

P.S. darf ich Sie bitten, mich von Tag und Stunde Ihrer Ankunft zu benachrichtigen?

 

Felix Gotthelf an Hedy Brügelmann, Godesberg, 26. 3.1910

Godesberg, Mirbachstr.6

Sehr verehrte Frau Brügelmann!

Ihre "Maya" steht immer noch wie ein Erlebniß vor meinen Augen und Ohren. Wie danke ich Ihnen die erlösende Tat? - Denn es war die Aufführung vom 13. gewiß für mich eine Erlösung von Zweifeln u. Befürchtungen, die die erste Aufführung in mir zurückgelassen hatte. -

- Jetzt erst weiß ich ganz bestimmt, daß der Mahadeva, gut dargestellt, Lebenskraft und zwingende Gewalt in sich hat und sich auf der Bühne halten wird. Mit Künstlern wie Sie, Möller und Fröhlich im Bunde fürchte ich nicht für sein Leben. Also noch einmal: Dank, herzlichen Dank!

  Und wie heroisch haben Sie gegen den Dämon gekämpft, gegen den bösen "Arura" (?), der in Ihr zartes Knie fuhr, um noch im letzten Moment Ihre gute Tat zu verhindern. "Höchsten Opfers Liebestat" hat auch ihn bezwungen. - Nun freuen Sie sich des Sieges! - Und Sie haben nicht nur über ihn gesiegt, sondern auch über das vielköpfige Ungeheuer: Publicum! Es war ein starker, ein glänzender Erfolg für Sie, daran ist kein Zweifel; die Aufklärung im Generalanzeiger (die, wie ich annehme, Ihnen von Theodor zugesandt worden ist) hätte vor statt nach der Aufführung kommen sollen. Für die meisten aber, die ich gesprochen habe, war sie gar nicht nötig, denn alle waren von Ihrer Anmut bezwungen u. merkten nichts von dem bösen Knie. Und was Ihre gesangliche Leistung betrifft, so besteht darüber nur eine Stimmung allgemeiner Bewunderung. Und wie sicher beherrschten Sie Ihre Partie! Trotz der unglaublich kurzen Vorbereitung. Von allen Seiten wurde um die Wette gepatzt, nur bei Ihnen war alles "sicher, glatt und gut". -

Daß in dem Düsseldorfer Käseblättchen nicht in gebührender Weise von Ihrem Gastspiel Notiz genommen wurde, ist sicher z. Teil auf die mangelhafte Ankündigung desselben zurückzuführen. Zum Teil ist daran aber auch die gerade an diesem Abend in Düsseldorf herrschende Concert-Hochflut schuld, die die meisten Kritiker zwang, dem Theater fern zu bleiben. Ich habe nun aber Sorge getragen, daß dafür in mehreren Stuttgarter Zeitungen sowie in Berliner und Wiener Blättern in gebührender Weise Erwähnung geschieht. Sie werden dadurch reichlich entschädigt werden. - Wenn mir etwas von Berlin und Wien in die Hände fällt, werde ich es Ihnen schreiben. Wollen Sie mir dafür einige Stuttgarter Schnitzel zukommen lassen? Ich werde heute auch an Putlitz und Schillings schreiben. - Das beiliegende Portrait sei Ihnen ein kleines Zeichen meines Dankes und meiner Anerkennung. Darf ich vielleicht auch einmal um das Ihrige bitten? Sie würden mir dadurch eine wahre Freude machen. Und nun ruhen Sie sich in der warmen Ostersonne aus, pflegen Sie Ihr Knie! Und hoffentlich auf Wiedersehen am 18. April in Düsseldorf!

Ihr Sie herzlich verehrender

Dr. Felix Gotthelf